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Die zwei Künstler


Die zwei Künstler

Postby Connie » Fri 31. Aug 2012, 19:16

Zwei Maler lebten in einer Stadt, und jeder behauptete, besser als der andere zu sein.
Immer wenn sie sich in der Strasse oder in einem Wirtshaus trafen, begannen sie, über ihre jeweiligen Erfolge zu streiten. Der Weise kam in die Stadt und hörte, wie sich die Künstler stritten.
Er ging auf sie zu und sagte: "Ich bin genauso gut wie ihr beide; und das heisst, dass ihr beide gleich gut seid."
Die beiden Künstler starrten ihn ungläubig an, und dann sagten sie gemeinsam: "Beweise es!"
Der Weise überredete die Ladenbesitzer am Marktplatz, zwei Tafeln in der Mitte des Platzes aufzurichten, und Farben in jeder Schattierung zur Verfügung zu stellen. Der Weise lud die zwei Künstler dazu ein, zum Marktplatz zu kommen. "Jeder von euch soll von der einen Tafel eine Hälfte bemalen", sagte er, "und ich werde auf der anderen malen. Dann sollen die Leute über uns entscheiden."
Die beiden Künstler nahmen die Herausforderung an.

Die zwei Künstler und der Weise arbeiteten mehrere Tage an ihren Tafeln. Der eine Künstler malte ein Bild von einem fruchtbaren Tal, während der andere einen hohen Berg malte. Der Weise aber malte mehrere Schichten Silberfarbe auf seine Tafel, und jedes Mal wenn die Schicht trocken war, polierte er sie gründlich, bevor er die nächste Schicht auftrug.
Nach einer Woche einigten sich die Künstler und der Weise dann darauf, dass sie fertig waren, und sie luden die Leute der Stadt dazu ein, ihre Arbeiten zu beurteilen. Die Leute bewunderten sowohl das Bild vom Tal als auch das Bild vom Berg. Dann wandten sie sich der Tafel des Weisen zu - und sahen ein perfektes Spiegelbild von den beiden anderen.
Als die Leute sich beide Tafeln angesehen hatten, fragte sie der Weise: "Gleicht mein Bild dem Bild der beiden anderen?" Und sie antworteten alle: "Ja."
Dann sprach er zu den beiden Künstlern: "Ein Kunstwerk ist die Spiegelung der Vision eines Menschen. Und die Vision eines Menschen ist immer so gut wie die eines anderen."

Die beiden Künstler stritten nie mehr miteinander, und stattdessen bewunderten sie von nun an ihre Gemälde gegenseitig. Und die beiden Tafeln blieben auf dem Marktplatz stehen, so dass jeder sie anschauen konnte.

Quelle: Robert van de Weyer, "Die wunderbaren Geschichten des Wanderweisen"
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